Von Winterwegen, Weinseligkeit und Weitergehen – der GR1 geht zu Ende, der GR109 beginnt
Nach gut 1300 Kilometern auf dem GR1 ist es an der Zeit, zurückzublicken – auf Tage voller Wind, Regen, Schnee, Sonne, Schmerz, Lachen und unerwarteter Begegnungen. Vor allem aber: Seit kurzem ist Thomas wieder mit dabei, und das verändert vieles. Nicht nur das Tempo, sondern auch die Dynamik. Gemeinsam unterwegs zu sein bedeutet, Entscheidungen anders zu treffen, sich öfter abzustimmen – aber auch, Freude und Strapazen zu teilen. Und beides gab es reichlich.
Nach einem späten, verkaterten Start – der Abend zuvor endete mit Fußball, Bier und einer Kneipentour bis in die frühen Morgenstunden – kamen wir zunächst nur schleppend voran. Doch sobald wir die Stadt hinter uns ließen und vom Jakobsweg auf ruhigere Nebenstrecken abbogen, wurde es wieder angenehm. Felder, sanfte Anstiege, ein Kaffee in einer Dorfbar und eine Pause mit Ausblick halfen beim Reinkommen. Am Abend wartete dann doch noch ein überraschend steiler Aufstieg auf uns – begleitet von einer Warnung vor einer angeblich gefährlichen Brücke, die sich später als völlig harmlos herausstellte.
Das Wetter wurde wechselhafter, der Wind nahm zu, und am nächsten Tag wurden wir auf einem stürmischen Berggrat fast vom Nebel verschluckt. Mein Schienbein begann zu schmerzen, wir mussten mehrere Pausen einlegen, fanden kurzzeitig Schutz in einer Hütte – und schleppten uns durchnässt durch den Regen in einen Ort mit Bar und Hostel. Eine heiße Dusche, ein Bett, ein ordentliches Abendessen – und plötzlich war alles wieder etwas besser.
Am darauffolgenden Tag wechselte das Grau der letzten Etappen in winterliches Weiß. Die Landschaft präsentierte sich als traumhafte Schneekulisse unter blauem Himmel. Die Wege waren zwar tief verschneit, aber gut begehbar, die Sonne machte vieles wett. Unterwegs gab es Kaffee und Gebäck in einer kleinen Bar, Schweineohr inklusive – ein Running Gag, seit Thomas diese Dinger entdeckt hat. Es folgten hohe Pässe mit Panoramablicken auf die verschneiten Gipfel der Pyrenäen, überraschende Bars in abgelegenen Dörfern, ein weiterer Anstieg und schließlich ein Refugio mitten auf einer Weide, in dem wir Feuer machen konnten – ein perfekter Tagesabschluss.
So ging es weiter: kleine Orte mit Bars, günstiger Tortilla, Kaffee und Bier. Der Wechsel von Sonne, Wind und Nieselregen begleitete uns über wilde Flusstäler, durch Wälder und vorbei an Felsen. Immer wieder waren die Unterkünfte schlicht, aber funktional – Refugios mit Feuerstellen und gelegentlichem Mausbesuch. Und als am 22. April schließlich der Puerto de Tana erreicht war, war es ein leiser, aber bedeutender Moment: Der GR1 war geschafft. Fast 1300 Kilometer. Und fast genauso viele Geschichten.
Der Übergang auf den GR109 erfolgte über Straßen. Der neue Weg präsentierte sich zunächst zahmer, führte durch beeindruckende Canyons und vorbei an kleinen Siedlungen, wo wir den Tag schließlich bei Rotwein in einer Bar beendeten – ein Glas wurde zu mehreren, Gespräche wurden länger, und ein leerstehendes Haus wurde zum spontanen Nachtlager. Der folgende Morgen begann entsprechend verkatert, aber irgendwie rafften wir uns doch noch auf. Kurz darauf trennten sich unsere Wege für eine Weile: Ich zog weiter, Thomas blieb zurück.
Allein unterwegs zu sein veränderte alles wieder einmal. Ich hörte Podcasts, lief in meinem Tempo, genoss das warme Wetter und eine entspannte Pause mit Baguette und Gebäck. Die letzten Kilometer des Tages führten mich über ruhige Feldwege und Seitenstraßen, schließlich steil hinauf auf den GR109, wo ich ein verstecktes Plätzchen zum Zelten fand – mit Blick auf die Berge und dem letzten Licht des Tages. Kein Alkohol, kein Lärm – einfach Ruhe.
Am nächsten Tag wartete eine fordernde Etappe mit vielen Höhenmetern und wenigen Einkaufsmöglichkeiten. Die Wegmarkierungen waren lückenhaft, doch der Weg entschädigte mit atemberaubenden Aussichten, einsamen Graten, stillen Dörfern und ehrlichem Kaffee für 1,10 Euro. Der Entschluss, auf den GR208 abzubiegen, erwies sich als Glücksgriff: eine Gratwanderung mit Blick auf die Picos de Europa, Sonne im Gesicht, Wind im Rücken. Nur beim Abstieg wurde es kritisch – kein Wasser mehr, und der Versuch, über eine Weide mit Hunden abzukürzen, scheiterte. Am Ende führte der Weg durch ein tristes Tal entlang der Autobahn, und erst spät fanden wir ein halbwegs trockenes Plätzchen – im Vorraum einer Kirche, wo das Zelt im Innenraum aufgebaut wurde.
Dann ein Tag mit 53 Kilometern, erschöpfend und lang, aber auch erfüllt von Weitblick, Sonne und dem Gefühl, weiterzukommen – auf dem Weg, im Kopf, und irgendwie auch im Leben. Und was Thomas betrifft? Noch ist unklar, ob er wieder aufschließen wird oder ob unsere gemeinsame Reise hier endet. Aber wie so oft beim Wandern gilt: Der Weg entscheidet – nicht der Plan.











